Afrika zwischen Russland/China und der Alten Welt
Der Sudan und die neue Weltordnung (1/2)
Im Sudan tobt seit vier Tagen ein Bürgerkrieg. Scheinbar wie aus heiterem Himmel. Doch dem ist keinesfalls so. Der Ausbruch der Gewalt ist das Ergebnis tiefgreifender globaler und politischer Veränderungen. Die neue multipolare Weltordnung nimmt Gestalt an. Auch und vor allem in Afrika. Der bisherige Weltpolizist USA verliert an Boden. Die BRICS-Staaten gewinnen an Einfluss. Und mit ihnen Peking und Moskau. Der Sudan, das antike Nubien, ist rohstoffreich. Zwischen Schwarzafrika und Arabien liegend, ist es zudem militärstrategisch von hohem Wert. Gelingt es Washington und dem CIA Sudan noch rechtzeitig ins eigene Boot zu holen. Oder fällt es ein für allemal an die Multipolaren? Die nächsten Tage werden entscheiden.
von Michael Winkler
KHARTOUM (18. April 2023; 20:00 Uhr)
„Khartum ist zurück im Revolutionsmodus“ hieß es vor reichlich 14 Monaten, im Januar 2022, in einem Beitrag von Christine-Felice Röhre von der der SPD nahestehenden Friedrich-Ebert-Stiftung in der Zeitschrift „Zenith“. Tränengas, Gummigeschosse gegen das protestierende Volk. Teils auch scharfe Munition. Unzufriedenheit mit der Armee, die im Oktober 2021 unter General alBurhan erneut die Macht an sich gerissen hatte und diese bis heute innehat. 70 Tote gab es damals 2022. Das Ziel, eine stabile demokratische Zivilregierung nach dem Volksaufstand von 2019 gegen Langzeitherrscher Bashir aufzubauen, wurde nicht erreicht. Bis heute. Es entstehe ein „gefährlicher Vertrauensverlust“ in die internationale Gemeinschaft, warnte Autorin Röhre damals. Sie sollte Recht behalten. Heute im April 2023 tobt ein Bürgerkrieg mit hunderten von Toten und tausenden Verletzten. Ausgang ungewiss.
Die Ursachen für den derzeitigen Gewaltausbruch können jedoch nicht allein in den nationalen polit-ökonomischen und militärisch-machtstrukturellen Geschehnissen im Sudan gesucht werden. Analysen, Ursachenforschung und Erklärungen müssen zuerst im Verlauf der Weltpolitik hinterfragt werden. Im Frühjahr des vergangenen Jahres erschien rund um den Globus ein neuer Begriff, der der „multipolaren Weltordnung“. Demzufolge würde es in Zukunft nicht mehr nur ein Weltzentrum, nämlich das des Westens geben, sondern mehrere „Pole“. Politisch, wirtschaftlich und militärisch. Von der Theorie und vom Begriff hin zur angewandten Praxis ging es recht schnell. Die BRICS-Staaten entstanden und koppelten sich vom bisher dominierenden Westen (USA/Europa) ab.
Der Streit der zwei Generäle
Der Ukrainekrieg brach aus, wirbelte erst die alten Militärbündnisse völlig durcheinander und ordnete sie dann neu. Wobei diese Prozesse anhalten. Die „internationale Gemeinschaft“ von Anno Dazumal gibt es nicht mehr. Vor allem die so genannten Entwicklungsländer müssen sich jetzt entscheiden, zu welchem der Pole der multipolaren Erde sie sich hingezogen fühlen. Oder aber welcher zu einem passt. Das kann der alte Partner sein, aber auch der Wechsel zu einem neuen Partner/Pol ist möglich. „Ehestreit“ nicht ausgeschlossen. Für viele afrikanische Staaten sogar angesagt. Befanden sie sich doch Jahrhunderte unterm Joch des westlichen Kolonialismus und Neokolonialismus.
Im Sudan liebäugelte der politisch-militärische Komplex unter General al-Burhan jedoch mal mit dem, dann wieder mit dem Pol. Die Staatsführung war und ist geteilt. Der Staat aufgrund seines riesigen Territoriums und verschiedener Ethnien und Religionen innerlich zerrissen. Ein Tatbestand, der bis heute anhält. Und wohl im derzeit ablaufenden Bürgerkrieg seine Entsprechung und vielleicht Lösung findet. Gegenüber stehen sich zwei gar nicht so unterschiedliche Kontrahenten. Der mächtige oberste Armeegeneral und Staatschef General Abdel Fatah al-Burhan und der Ex-Vize-Staatschef und Chef der bisher pro-staatlichen schnellen Eingreif- und Unterstützer Miliz kurz RSF, General Mohamad Hamdan Daglo auch als Hemedti bekannt. Weil beide nach 2019 eng mit Moskau kooperierten, entzogen die USA, die Europäische Union und die Weltbank ab 2021 dem Sudan alle Finanzhilfen. Um die Ausrichtung nach Moskau zu unterbinden, versuchte Washington alles, um die beiden Generäle gegeneinander aufzubringen. Was auch gelang. Wie wir heute sehen.
Am 31. Juli 2022 gab Putin die neue russische Meeresdoktrin bekannt. Entsprechend der multipolaren Weltordnung. Die sieht jetzt eine Anbindung an alle Weltmeere vor. Und lädt interessierte Partner zu Kooperationen ein. Der Sudan geriet mit einem Schlag noch tiefer in die Konfrontation zwischen USA und Russland hinein. Gab es doch seit Jahren interne Gespräche über eine russische Militärbasis in Port Sudan. Ein Albtraum der NATO, der Europäischen Union und für den CIA. Während General al-Burhan offenbar einlenkte und sich teilweise dem Westen beugte, reiste General Daglo nach Moskau. Er wurde freundschaftlich begrüßt und die Zusammenarbeit besprochen.
USA drohen dem Sudan
Von da ab war für den Westen klar, dass Daglo der „Böse“ ist und alBurhan der „Gute“. Am 1. September vergangenen Jahres warnte US-Botschafter John Godfrey die sudanesische Staatsführung davor, Russland die endgültige Genehmigung eines Militärstützpunkts am Roten Meer auf sudanesischem Territorium zu erteilen. Man werde entsprechend reagieren. Eine unglaubliche Drohung an den Sudan, endlich wieder nach der Pfeife des Westens zu tanzen, anstatt sich der multipolaren Welt und der echten Souveränität zuzuwenden. Wörtlich sagte Godfrey: „Wenn die sudanesische Regierung beschließt, mit der Einrichtung dieser Einrichtung fortzufahren oder sie neu zu verhandeln, wird dies den Interessen Sudans schaden“ (MiddleEastEye).
Interesse an einem Bürgerkrieg im Sudan hat also vor allem Washington. Einem Krieg, der die pro-amerikanischen Kräfte in Afrika stärken soll und die pro-russischen schwächt. Unter diesem neuen US-Neokolonialismus leiden heute die Völker des Sudan.
(wird fortgesetzt)
Michael Winkler (Journalist)
1983 bis 1986 Diplom an der Sektion Afrika-, Asien- und Nahostwissenschaften der Leipziger Universität zum Thema: „Gegenwartsbezogene Islamwissenschaft der BRD /Re-Islamisierung“
1986 bis 1990 Aspirantur an der Leipziger Universität zum Thema: „Drohender Islamismus – Re-Islamisierung“. Betreuer: Prof. Dr. Dr. Holger Preißler (Syrien- und Islamexperte der DDR)
Oktober 1989 Gründungsmitglied der Bürgerbewegung BIKA Auerbach im Vogtland
1990 bis 2007 Redakteur einer sächsischen Tageszeitung
seit 2008 – Unabhängiger Journalist mit den Spezialgebieten radikaler Islam, Daesh (IS), Russland, Syrien, Ägypten, Libyen, Algerien, Jemen, Oman, Saudi-Arabien; zahlreiche Reisen in Länder des Nahen und Mittleren Osten
Mitglied der Deutschen Orient-Gesellschaft Berlin
Mitglied bei Reporter ohne Grenzen
Mitglied bei verdi IG Medien seit 1990; Betriebsratsvorsitzender 1991 bis 1999